Thomas Wörtche
Crime Watch 46
ZEITGEIST
Der Zeitgeist ist ein lustiger Gesell. Alle
Welt möchte seit geraumer Zeit Romane schreiben,
die buchstäblich so "spannend wie ein
Krimi" sind. Auf der anderen Seite verachtet
man Bücher, weil sie halt "nur ein Krimi"
sind. Auf der einen Seite beklagt man sich
seit einigen Jahren, dass die Leute "ja
nur noch Krimis lesen wollen". Auf der
anderen Seite liest man "eigentlich
keine Krimis", findet aber, siehe oben
Gefallen an Romanen, "die mit dem Genre
spielen", und impliziert somit, dass
man genau weiss, wie eine Literatur funktioniert,
die man zugegebenermassen gar nicht kennt.
Soweit, so ahnungslos. Und alles in der Debatte
um Georg Kleins Barbar Rosa jetzt schon und
demnächst vermutlich noch verstärkt nachzulesen.
Bücher wie Irene Disches Ein Job, Martin
Amis´ Night Train oder Peter Hoegs Fräulein
Smilla haben diesen merkwürdigen Zwischenweg
schon durch die 90er Jahre vorgezeichnet.
Sie haben gemeinsame Merkmale: Sie stammen
alle von Schriftstellern und Schriftstellerinnen
mit hoher literarischer Reputation und fallen
somit in eine andere Sekundärbearbeitungskompetenz
als "normale Thriller". Zweitens
sind sie weit entfernt von dem aktuellen
ästhetischen Niveau und der Potenz "richtiger
Thriller" (von Le Carre und Michael
Connelly bis Helen Zahavi und Jerome Charyn)
und füllen dieses Defizit mit allerlei Verfahren
a la mode. Das Genre soll einzig die narrative
Klammer vorgeben, und damit hat es seine
Schuldigkeit getan. Die banale Erkenntnis,
dass Strukturen und Inhalte sich gegenseitig
bedingen, ist suspendiert.
Ein schönes Beispiel für dieses Dilemma der
merkwürdig fahlen Pseudo-Thriller ist das
Werk des Italieners Carlo Lucarelli. Nicht
umsonst hatte für dessen erstes, auf deutsch
erschienenes Buch, Der Grüne Leguan, sein
Verlag den Neologismus "Literaturthriller"
geprägt. Um Literatur ging es aber gar nicht,
nur um einen Serial-Killer aus Bologna, der
"hoch-literarisch inszeniert" war.
Durchaus mit Können und guten Einfällen:
Ein blinder Junge, der die Welt nur hören
kann, beteiligt sich an der Jagd nach dem
Serial-Killer, der sich als Echse fühlt und
dementsprechend agiert, mit seinen ganz eigenen
Kompetenzen - eben seinem feinen Gehör. Almost
Blue, ein sehr stimmungsvoller und subtiler
Song von Chet Baker (den man auch für reinen
Kitsch halten kann), dient als akustisches
Leitmotiv und bildet das erzählerische Gelenk
zur Kunstfigur des Killers. Der ist mit all
der Raffinesse, der Virtuosität der Verwandlung
und der erlesen-tragischen Vorgeschichte
ausgestattet, die den literarischen Serial-Killer
zum puren Abwehrzauber gegen die miesen,
kleinen banalen Wiederholungstäter aus der
realen Kriminalstatistik gemacht haben. Mit
anderen Worten: Der Grüne Leguan hatte nichts
zu erzählen, sondern bloß schon hundertfach
Erzähltes in der Logik des Überbietungszwanges
noch erlesener inszeniert.
Ähnlich funktioniert das auch in dem neu
erschienenen Buch Schutzengel. Hier bearbeitet
Lucarelli den traditionellen Erzählstoff
"Mafia & Justiz": Ich-Erzähler
der hanebüchenen Story um versehentlich abhanden
gekommenes Mafia-Geld und korrupte Staatsanwälte
ist ein unangenehmer kleiner Polizist, der
zurecht wegen Unfähigkeit in die Kantinenbewirtschaftung
abgeschoben worden ist. Er sagt, was er denkt,
und erfüllt somit alle Klischees der Provokation
von political correctness - ein einfaches
Umkehrverfahren also, denn wir sollen diesen
inkompetenten, geilen Verbalrüpel schliesslich
für sympathisch halten. Auch hier ist die
Machart des Buches mit allen erzähltheoretischen
Wassern der Gegenwart gewaschen. Montage,
Argot, Situationskomik, Slapstick, Selbstrefentialität
- alles da. Zu erzählen hat Lucarelli auch
hier nichts. Er hat jedoch einmal mehr bewiesen,
dass er ein brillanter Techniker ist.
Dass solche anscheinende Cleverness letztlich
nur naiv und kindisch ist, zeigt Lucarelli
ironischerweise selbst. Nämlich in seinen
historischen Kriminalromanen um Commissario
De Luca, der in den Jahren nach dem Zweiten
Weltkrieg in den chaotischen italienischen
Verhältnissen arbeiten muss. Mit diesen "straight"
erzählten Geschichten, die erhebliche Konzentration
nicht nur auf das "Wie", sondern
auch das "Was" des Erzählens aufwenden
müssen, gelingt Lucarelli dann endlich doch,
gute, weil spannende Geschichten auf hohem
erzählerischem Niveau zu produzieren.
Carlo Luccarellis Der Grüne Leguan (1999)
und Schutzengel (2001) sind bei DuMont, Köln
als Hardcover erschienen: 206 S., 38,- DM;
174 S., 34,- DM; die De Luca-Romane (drei
bis jetzt) bei Piper als Taschenbuch.