Wörtches Crime Watch 03/2001Carlo Lucarelli: Der grüne Leguan
Der Zeitgeist ist ein lustiger Gesell. Alle Welt möchte seit geraumer Zeit Romane schreiben, die buchstäblich so "spannend wie ein Krimi" sind. Auf der anderen Seite verachtet man Bücher, weil sie halt "nur ein Krimi" sind. Auf der einen Seite beklagt man sich seit einigen Jahren, dass die Leute "ja nur noch Krimis lesen wollen". Auf der anderen Seite liest man "eigentlich keine Krimis", findet aber, s.o. Gefallen an Romanen, "die mit dem Genre spielen", und impliziert somit, dass man genau weiss, wie eine Literatur funktioniert, die man zugegebenermassen gar nicht kennt.
Ähnlich funktioniert das auch in dem bei uns neu erschienene Buch "Schutzengel". Hier bearbeitet Lucarelli den traditionellen Erzählstoff "Mafia & Justiz": Ich-Erzähler der hanebüchenen Story um versehentlich abhanden gekommenes Mafia-Geld und korrupte Staatsanwälte ist ein unangenehmer kleiner Polizist, der zurecht wegen Unfähigkeit in die Kantinenbewirtschaftung abgeschoben worden ist. Er sagt, was er denkt, und erfüllt somit alle Klischees der Provokation von political correctness - ein einfaches Umkehrverfahren also, denn wir sollen diesen inkompetenten, geilen Verbalrüpel schliesslich für sympathisch halten. Auch hier ist die Machart des Buches mit allen erzähltheoretischen Wassern der Gegenwart gewaschen. Montage, Argot, Situationskomik, Slapstick, Selbstrefentialität - alles da. Und alles unter der Voraussetzung, wir wüssten schon, wie das Spiel zwischen OK und Justiz in Bologna funktioniert. Also wird es als Klischee bloss lustig und "witzisch-originell" aufbereitet. Zu erzählen hat Lucarelli auch hier nichts. Er hat jedoch einmal mehr bewiesen, dass er ein brillanter Techniker ist. Dass solche anscheinende Cleverness letztlich nur naiv und kindisch ist, zeigt Lucarelli ironischerweise selbst. Nämlich in seinen historischen Kriminalromanen um Commissario De Luca, der in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg (konkret seit der "Republik von Salò") in den chaotischen italienischen Verhältnissen arbeiten muss. Mit diesen "straight" erzählten Geschichten, die erhebliche Konzentration nicht nur auf das "Wie", sondern auch das "Was" des Erzählens aufwenden müssen, gelingt Lucarelli dann endlich doch, gute, weil spannende Geschichten auf hohem erzählerischem Niveau zu produzieren. Carlo Lucarelli: Der grüne Leguan. (Almost Blue). Roman. Aus dem Italienischen von Peter Klöss. München: Goldmann Taschenbuch Verlag, 2001 (1. Aufl. - Köln: DuMont Buchverlag, 1999), 191 S., 12.90 DM
© Thomas Wörtche, 2001 |