Der trübe Sommer
Carlo Lucarelli
Piper (2002)
Sondereinband
euro 7,90 - ISBN 9783492234900
In Kürze:
De Luca reist inkognito. Es ist der Sommer
des Jahres 1945, und Commissario De Luca
ist inkognito unterwegs nach Rom. In einem
kleinen Dorf in der Emilia Romagna macht
er eine schauerliche Entdeckung - sämtliche
Mitglieder der Familie Guerras liegen erschlagen
auf ihrem Grundstück. Weshalb mußten sie
sterben? War es politischer Mord? Die Lösung
des Falles wird für De Luca zu einer gefährlichen
Gratwanderung, denn auch er hat ein dunkles
Geheimnis.
Erschienen am: 04.05.2001 (on line)
«Der trübe Sommer»: Ein De-Luca-Krimi von
Carlo Lucarelli
Carlo Lucarelli, 1960 in Parma geboren, neben
seiner publizistischen Tätigkeit auch Dozent
für Kreatives Schreiben in Turin, wurde für
sein erzählerisches Werk mehrfach ausgezeichnet.
Bei uns ist er noch zu entdecken.
Am 27. April 1945 wurde Mussolini bei Como
erschossen, die Leiche hängte man auf dem
Marktplatz von Giulino di Mezzegra an den
Füssen auf. Im Sommer desselben Jahres sitzt
Commissario De Luca am Rand einer Strasse
in der Emilia Romagna auf einem Stein, den
dünnen Regenmantel über den Knien, und sieht
den Ameisen zu, die unter einer halb ausgegrabenen
und mit einem roten Stofffetzen markierten
Strassenmine hervorkrabbeln. Der Krieg ist
vorbei, Mittelitalien in den Händen der Partisanen,
die Jagd auf die Faschisten hat ihren Höhepunkt
erreicht. De Luca hat offenbar einigen Anlass,
sich nach Süden abzusetzen; für Dorfpolizist
Leonardi genügt ein diffuser Verdacht, um
ihn von der Strasse weg zu verhaften. Was
Leonardi daran hindert, seinen vor Angst
zitternden Kollegen sogleich den Carabinieri
zu übergeben, hat den Grund darin, dass er
ihn zu erkennen meint. Irgendwann im Jahr
1943 muss es gewesen sein, in Mailand an
der Polizeischule, wo ihm De Luca als kompetenter
und beliebter Ausbildner erstmals begegnet
war. De Luca bestreitet die Bekanntschaft,
er will, er muss an seinem Inkognito festhalten.
Doch als der Brigadiere ihm die gefälschten
Papiere abgenommen hat, bleibt ihm nichts
anderes, als dessen Vorschlag anzunehmen
und bei der Aufklärung des aktuellen Falles
zu helfen. Nach einer ersten Besichtigung
des Tatorts begibt man sich ins Dorf, als
«Ingegnere auf der Durchreise» bezieht De
Luca eine kleine Kammer über der Osterla.
In ständiger Angst vor der Entdeckung seiner
wahren Identität beteiligt sich De Luca an
der Aufklärung des Verbrechens, dem eine
ganze Familie zum Opfer gefallen war. Dass
die wüste Tat in engem Zusammenhang mit der
Ermordung eines mit den Deutschen sympathisierenden
Adligen stehen muss, wird dem unfreiwilligen
Hilfspolizisten bald einmal klar. Die in
einer Atmosphäre umfassender, nie greifbarer
Bedrohung durchgeführten Ermitt- lungen kommen
erst weiter, als De Luca in einer weiteren
an Kafka gemahnenden Szene dem nächtlichen
Liebesüberfall der Kellnerin erliegt. «Tdeschina»
wird die junge Wilde im Dorf genannt. Nun,
nach dem Abzug der Deutschen, hat sie sich
auf die Seite der Sieger geschlagen; als
Geliebte des antifaschistischen Oberschurken
des Dorfes führt sie De Luca ungewollt auf
die richtige Spur.
Nicht nur des Buchanfangs wegen darf «Der
trübe Sommer» als ganz aussergewöhnliches
Exempel des Genres Spannungsliteratur bezeichnet
werden. Es ist, nach «Freie Hand für De Luca»
(1998), Carlo Lucarellis zweiter Roman um
den Commissario mit der dunklen, buchstäblich
schwarzen Vergangenheit. Allein schon die
diskrete Geschichtslektion macht die beiden
Bücher lesenswert; zum literarischen Genuss
werden sie einerseits durch die Hauptfigur,
die die Reihe all der einschlägig bekannten
Romanpolizisten um eine höchst komplexe Variante
bereichert, andererseits durch ihre Machart,
die man eher ingeniös als nur professionell
nennen möchte. Auch «Der trübe Sommer» besticht
durch eine knappe, suggestive Sprache, die
der Imagination des Lesers viel freien Raum
lässt. In einer intelligenten Schnitttechnik
beschwört der Autor die Atmosphäre eines
Italiens, in dem die verschiedensten im Widerstand
formierten Gruppierungen um die Macht kämpfen.
- Man hat Carlo Lucarelli mit Simenon verglichen,
mit ebenso gutem Recht könnten die Klassiker
der absurden Moderne angeführt werden. Die
existenzielle Verlorenheit seines Commissario
De Luca hat allerdings weniger metaphysische
denn handfeste politische Gründe; was etwa
bei Beckett immer Parabel ist, situiert Lucarelli
ganz real im Zeitgeschehen.
Dass jenes für den «brillantesten Ermittler
der gesamten italienischen Kriminalpolizei»
Verhängnis bleiben wird, zeigt das schöne
Schlussbild des Romans: «(Leonardi) kam gerade
noch rechtzeitig, um vom Fenster aus zu sehen,
wie sie De Luca in den kleinen Lastwagen
mit der heruntergelassenen Plane schubsten
und sich aufmerksam und misstrauisch nach
allen Seiten umsahen, das Maschinengewehr
im Anschlag.» Bruno Steiger
Carlo Lucarelli: «Der trübe Sommer». Ein
Fall für Commissario De Luca. Aus dem Italienischen
von Barbara Krohn. Piper, München. 147 S.,
Fr. 22.-.
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