Der grüne Leguan
Carlo Lucarelli
Original: Almost Blue
Dumont gebunden
ISBN 3-7701-4471-6
"Almost Blue" ist der Lieblingssong
des 25-jährigen Simone, weil Chet Baker ihn
mit geschlossenen Augen singt.
Simone ist von Geburt an blind.
Mit seinen elektronischen Geräten geht
er
auf die Jagd nach den Tönen und Stimmen
der
Stadt Bologna. Simone lotet die Stille
aus.
Jeder Klang hat für ihn eine Farbe:
"Ein
bildschönes Mädchen hätte blaues Haar".
Ein Serienmöder im studentischen Milieu
von
Bologna wird Leguan genannt, denn er
schlüpft
in die Haut seiner Opfer.
Der grüne Leguan: Grazia, die junge
Fahnderin,
macht Jagd auf ihn - mit Hilfe von
Simone.

Rezension:
Ein wahnsinniger Killer, ein Blinder
und
eine Polizistin mit Menstruationsbeschwerden
- um dieses eben so ungewöhnliche,
wie mitreißende
Trio kreist der Roman des italienischen
Erfolgsautors
und diesen Figuren sind auch die drei
erst
parallelen, dann sich überlappenden
Handlungsstränge
zugeordnet.
Zwei Ich-Erzähler tun ihr Bestes, um
den
Leser einerseits in ihre ganz spezielle
Welt
hineinzuziehen und ihn andererseits
zu verwirren.
Da ist einmal der "Leguan",
eine
außerordentlich grausame, aber gleichzeitig
auch ungemein tragische Person, die
nicht
nur permanent gegen die Stimmen und
vor allem
die Todesglocken in ihrem Kopf ankämpft,
sondern auch vom Gedanken besessen
ist, ein
Tier unter der Haut zu haben und sich
deswegen
immer wieder (und immer häufiger) häuten
zu müssen. Dies bewerkstelligt der
Täter
dadurch, dass er stets neue Identitäten
annimmt
- und dabei vor keiner Anstrengung
zurückschreckt.
Der andere, der den Leser von der ersten
Seite an packt mit seinen lebendigen
und
ganz und gar ungewohnten Schilderungen
ist
der junge Simone (im Italienischen
ein gebräuchlicher
Männername), von Geburt an blind, der
seine
sämtlichen Sinneseindrücke in Farben
umwandelt.
Den ganzen Tag lang ist er damit beschäftigt,
Jazz zu hören oder mit acht Scannern
aufzufangen,
was an Geräuschen, Stimmen, elektrischen
Impulsen durch den Äther fliegt. Egal
ob
der Austausch von LKW-Fahrern mittels
CB-Funk,
Nachrichten aus dem Polizeifunk oder
Chats
mit und ohne Mikrophon - Simone hört
alles.
Und erkennt inmitten dieser Kakophonie
eine
unheilschwangere Stimme.
So kommt es, dass er auf Grazia trifft,
das
dritte Element dieses unglaublich spannenden
Romans, die Polizistin aus Lecce, die
man
nach Bologna geschickt hat, um den
Serienmörder
zu finden. Sie hat Instinkt und Biss
- und
den braucht sie auch, in dieser von
Männern
dominierten Welt, von dummdreisten
Kollegen
nicht nur belästigt, sondern nachgerade
behindert,
teils absichtlich, teils aufgrund purer
Unfähigkeit.
Und während das Blut in Strömen fließt,
die
Verwirrung aller handelnden Personen
ständig
zunimmt und der Leser ob der sich überstürzenden
Ereignisse gar nicht mehr zum Atmen
kommt,
fügt Lucarelli immer wieder völlig
unerwartet
Absätze reinster Poesie ein.
Mit Assoziationen spielt er, der "Shooting-Star"
der italienischen Krimi-Szene, mit
Worten,
Klängen und Gefühlen. Dort ironisch
überhöht,
da metaphysisch angereichert und ein
Feuerwerk
an Emotionen wo man es am wenigstens
erwartet.
Kein Wunder, dass das Buch mittlerweile
verfilmt
und als Theaterstück adaptiert wurde,
ist
es doch gleichermaßen verstörend und
von
ganz eigener Schönheit.
Miss Sophie
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